Noch bis zum 1. Januar 2025 zeigt die Dorstener Tisa-von-der-Schulenburg-Stiftung die Fotoserie „Überleben im Zelt -36.67061°N, 43.34247°E“. Im Mittelpunkt stehen irakische Geflüchtete in einem Auffanglager, die der Hertener Fotograf Alexander Fichtner porträtiert hat.
Am 3. August 2014 überfiel der Islamische Staat (IS) die kurdische Region Shingal im Irak. In der Folge mussten rund 400.000 Jesiden ihre Heimat verlassen. Dabei wurden 10.000 jesidische Männer und etwa 7.000 Frauen misshandelt. Im Rahmen einer Pressereise für die Schwäbische Zeitung hat Alexander Fichtner das irakische Flüchtlingscamp Sheikhan in der Provinz Nordkurdistan zum ersten Mal besucht – und viele berührende Fotografien von seiner Reise mitgebracht. Vor allem viele Stillleben: Eine improvisiert wirkende Zeltstadt im Nirgendwo, ein Zelt, das zu einem Lebensmittelladen umfunktioniert wurde oder ein Handy, das auf einem Sack Reis liegt.
Die Bilder wirken beklemmend. Dazu sind diese Stillleben auf wasserfesten LKW-Planen produziert worden und hängen draußen an einer Steinmauer auf dem Gelände der Tisa von der Schulenburg-Stiftung. Alexander Fichtner sagt dazu: „So stehen die Orte des Flüchtlingslagers im Fokus – und das finde ich gut.“ Die Gegenstände und Orte werden zu den Haupt-Protagonisten, die die Geschichten erzählen. „Mir ging es darum, die Abwesenheit des Anwesenden zu fotografieren - also ohne Menschen“, sagt der Foto-Künstler. So kann der Zuschauer die Trostlosigkeit noch mehr erahnen. Fichtner erklärt: „Jeder sieht, dass da noch eine Glühbirne brennt oder da ein Handy auf den Boden liegt und aufgeladen wird.“
Der Betrachter ahnt im Subtext, dass die Geschichte noch weitererzählt wird. „Die Aufnahmen bekommen so einen Bühnenbildcharakter, gerade bei den Querformaten“, erklärt Fichtner. Ein Zelt erinnert mit seiner runden Form und den blau-grünen Mustern an einen Ort, den sich Regie-Legende Stanley Kubrick ausgedacht haben könnte. Der Fotograf erklärt dazu: „Die Zentralperspektiven, die Kubrick sich für seinen Science-FictionFilm „2001“ ausgedacht hat, haben ja alles ein bisschen auf die Spitze immer getrieben – gerade was das Bühnenbild oder das Filmset betrifft.“ Für den Fotografen ist das eine wichtige Inspiration: „So hast du als Betrachter natürlich direkt viel mehr Kopfkino im Bewusstsein.“
Drinnen und draußen
Josefine Jordan, die die Ausstellung für die Tisa-Stiftung kuratiert, erklärt: „Zuerst wollten wir die Ausstellung nur draußen machen. Wir haben gesagt, okay, wir drucken diese Stilleben aus dem Flüchtlingslager auf die robusten Planen und beenden es dann nach ein paar Wochen. Aber dann kam Alexander noch mit den Portraits, sodass wir dann entschieden haben, dass wir die portraitierten Menschen zusätzlich in unseren Ausstellungsräumen zeigen.“ So hat Fichtner das Leben der Menschen nach ihrer Flucht vor dem Völkermord beklemmend und sensibel dokumentiert. Manches ist kaum vorstellbar: Zehn Jahre nach dem brutalen Überfall des IS leben diese Menschen immer noch in Zelten.
Zukünftig möchte sich die Tisa von der Schulenburg-Stiftung zeitgenössischer und moderner Kunst widmen – und Fichtner hat mit seinen Bilderwelten eindrucksvoll vorgelegt. Der Tisa-Stiftungsvorsitzende Lambert Lütkenhorst erklärt: „Wir sind ein außerschulischer Lernort. Das wollen wir in Zukunft noch stärker etablieren und zeitgleich unser Profil schärfen. Um dies zu erreichen, soll die Bildungs- und Vermittlungsarbeit im kommenden Jahr noch stärker in den Vordergrund rücken.“